Südtirol Juli 2020 – 2. Teil: von Karersee nach Sexten

Dienstag, 14. Juli

Am Morgen ist alles in Grau gehüllt, die Berge nicht einmal zu erahnen. Dennoch gebe ich die Hoffnung auf eine Wanderung noch nicht auf. Nach dem Frühstück gehe ich zur Tourist-Info und frage dort nach dem Wetterbericht. Die Dame bestätigt mir, dass es sehr wechselhaft angesagt ist und rät mir dringend von einer Wanderung im Rosengarten ab. Mir war es ja eigentlich klar, aber ich brauchte wohl diese Bestätigung. Vielleicht klappt es ja später doch noch, ich will ja auch noch auf die Seiser Alm und bin dann wieder in der Nähe des Rosengartens … so habe ich nun Zeit, die Sage vom Rosengarten zu erzählen:

König Laurin und sein Rosengarten

In einem Berg zwischen Schlern und Làtemar lebte einst der König Laurin, der Herrscher über das Zwergenvolk. In ihrem Berg horteten die Zwerge allerlei Schätze aus Silber und Edelsteinen. Dem König Laurin aber war sein Rosengarten das Liebste, er hegte und pflegte die Rosen und umgab sie mit einem seidenen Faden als Umfriedung.
Eines Tages hörte Laurin, dass die Tochter eines Königs im Tale sich vermählen wolle. Die Prinzessin hieß Similde und Laurin wollte sie unbedingt zur Frau nehmen. Er schickte Boten mit seiner Werbung zu ihrem Vater, doch die Boten wurden nicht eingelassen und sogar schimpflich behandelt. Denn die Leute im Tal hatten keine gute Meinung von den Zwergen, sie hielten sie für gierig und geizig und minderwertig. König Laurin wollte sich das nicht gefallen lassen. Er nahm seine Tarnkappe, die ihn unsichtbar machte, ritt zum Schloss der Prinzessin und entführte sie. In seinem Berg lebte sie wie eine Königin und wurde auch als solche behandelt, durfte ihn aber nicht verlassen.
Simildes Vater hatte derweil eine Gruppe von Recken um sich gesammelt, die die Prinzessin befreien sollten. Von einem Bauern hatte er erfahren, dass Laurin sie fortgeführt hatte und dass man nur nach dem Rosengarten suchen müsste, um ihn zu finden. Die Krieger suchten im Gebirge und entdeckten bald die leuchtenden Rosen, stiegen den Berg hinauf und standen vor Laurins Rosengarten. Die Haudegen wunderten sich, dass nicht mehr als ein Seidenfaden sie vom Eindringen abhalten sollte. Kurzerhand war der Faden zertrennt, wodurch Laurin sofort gewarnt wurde und zum Kampf erschien. Die Ritter hatten ihre liebe Not mit dem Zwergenkönig, denn dieser besaß einen magischen Gürtel, der ihm die Kraft von zwölf Männern verlieh. Einer der Ritter wusste um dieses Geheimnis und riet seinen Gefährten, den Gürtel zu zerreißen. Als dies gelungen war, flüchtete Laurin unter seiner Tarnkappe. Die Krieger wunderten sich, wohin er entschwunden war. Doch einer bemerkte, dass die Blätter und Blüten der Rosen sich bewegten. So wussten sie, wo Laurin umherhuschte und konnten ihn fangen und Similde aus dem Berg holen. König Laurin war so wütend über seine Niederlage, dass er die verräterischen Rosen verfluchte: niemals wieder sollten sie zu sehen sein, weder bei Tag, noch bei Nacht. Und so geschah es, dass der Rosengarten zu Stein wurde. Jedoch hatte Laurin eines nicht bedacht: die Dämmerung. Sie ist weder Tag noch Nacht. Und so kommt es, dass in der Dämmerung der wunderschöne Rosengarten des Königs Laurin wieder für kurze Zeit erblüht.

von mir sehr frei nacherzählt

(Es gibt verschiedenste Versionen der Laurin-Sage, wesentlich kürzere und auch eine sehr lange Version von Karl Felix Wolff, die er aus mittelhochdeutschen Dichtungen und verschiedenen Volkssagen zusammengestellt hat, in denen der Rosengarten oder der Zwergenkönig erwähnt werden.)

Dies ist wohl die bekannteste Sage der Dolomiten. Wer möchte da nicht auf den Berg hinauf, um die versteinerten Rosen oder vielleicht sogar Laurins Schätze zu finden? 🙂 Ich fahre nun also weiter, immernoch auf der Großen Dolomitenstraße, über den Karerpass hinunter ins Val di Fassa. Ich wähle hier bewusst die italienische Bezeichnung, denn im Fassatal wird eindeutig mehr Italienisch gesprochen. Außerdem ist es eines der fünf ladinischen Täler.

Die Ladiner sind eine besondere Volksgruppe innerhalb Südtirols. Ihre Sprache, das Ladinische, ist ein rätoromanischer Dialekt. Ladinisch ist in Südtirol die dritte Amtssprache. Die Ladiner sind außerdem Bewahrer des besonderen Sagenschatzes der Dolomiten. Es gibt mehrere Museen, die sich der ladinischen Kultur widmen. Folgende Täler gehören zum ladinischen Kulturraum (in Klammern der jeweils ladinische Name): Gadertal (Badia), Grödner Tal (Gherdëina), Fassatal (Val de Fasha), Buchenstein (Fodom) und Ampezzo (Anpezo).

In Vigo di Fassa gibt es das „Istitut Cultural Ladin“, dem ein Museum angeschlossen ist, welches ich mir ansehe. Schnutenpulli auf, Hände desinfizieren und los. Zunächst wird kurz die Siedlungsgeschichte in den Tälern in der Jungsteinzeit und der Bronzezeit veranschaulicht, in den weiteren Räumen geht es dann vor allem um die bäuerlichen Traditionen der Ladiner, wie die Dörfer und Täler organisiert waren, welche besonderen Feste gefeiert wurden, womit die Leute ihren Unterhalt verdienten. Auch eine typische ladinische „Gute Stube“ hat man eingerichtet, rundum mit Holz verkleidet und mit einem großen Ofen, der von außen befeuert wird. In solchen Stuben wurden abends beim Garnspinnen Geschichten erzählt. Eher am Rande werden auch ein paar Sagengestalten vorgestellt, wie zum Beispiel der „salvàn„, wilde Männer aus den Wäldern, oder die „strióna„, wunderschöne, aber gnadenlose Hexen. Oder die „vivèna„, eine Art Flussnymphe, die den Menschen immer wohl gesonnen ist. Mein Wunsch, ein Buch mit diesen Sagen zu finden, wird noch größer. In der Ausstellung fällt mir ein Buch von Karl Felix Wolff mit dem Titel „Dolomitensagen“ auf. Das müsste doch das richtige sein! Hier im Museum kann ich es aber leider nicht erwerben.

Museum Ladin de Fascia
Str. de Sèn Jan, 5
IT-38036 Pozza di Fassa
Website

Eintritt: 5,00 €

Wirklich Strecke mache ich heute nicht, denn bereits einen Ort weiter, in Pozza di Fassa, beziehe ich eine Parzelle auf dem Campingplatz. Von vier vorgeschlagenen Standplätzen darf ich mir den schönsten aussuchen und so wähle ich eine kleine Ecke neben dem Bergbach, die außerdem an einen kleinen Garten grenzt. Die Sonne scheint inzwischen wieder und so verbringe ich einen gemütlichen Nachmittag mit Lesen vor dem Camper. Das Panorama rundum ist wunderschön, dunkle Wälder und helle Felsen darüber.

Zum Abendessen gehe ich zu Fuß in den Ort, immer am Bergbach entlang. Pozza di Fassa ist ein recht touristischer Ort, dementsprechend gibt es also Auswahl bei den Gastronomiebetrieben. Ich habe Glück und finde noch einen freien Tisch in einem Restaurant, das einen Raum wie eine ladinische Gute Stube eingerichtet hat. Hinter mir ist ein Fenster, das den Blick auf die atemberaubenden Berge freigibt. Der junge Kellner kümmert sich sehr zuvorkommend um mich, ist auch mal schön. Denn oft kommt es mir vor, als wenn man als Single Gast zweiter Klasse wäre, weil der Umsatz pro Tisch ja nicht besonders groß ist.

Ristorante Pizzeria „Le Giare“
Piaza del Malgher, 20
IT-38036 Pozza di Fassa
Website

Sehr schönes Ambiente, sehr nettes Personal, sehr leckeres Essen. Rundum perfekt! Ich habe mich sogar zu einem Dessert hinreißen lassen, was nicht oft vorkommt. 🙂

Übernachtung:
Camping Catinaccio Rosengarten
Strada de Pucia, 4
IT-38036 Pozza di Fassa
GPS: 46°25’34.1″N 11°41’10.4″E oder 46.426145, 11.686230
Website
Preis: 20,10 €

Sehr ordentlicher Platz am Ortsrand von Pozza di Fassa mit Panorama-Rundumblick, auch auf die Ostseite des Rosengartens. Das Waschhaus bietet allen möglichen Komfort. Auch Wintercamping ist hier kein Problem, es gibt sogar extra einen Raum zum Unterbringen der Skier und nassen Klamotten.

Gefahrene Strecke: 28 Kilometer

Mittwoch, 15. Juli

Für heute hatte ich ursprünglich die Besteigung des Piz Boè geplant, ein „leichter Dreitausender“ am Pordoi-Pass. Da das Wetter aber weiter sehr wechselhaft ist, muss ich auch diesen Plan ändern. Ich fahre zunächst einmal zum Sellajoch hinauf, die Straße schlängelt sich steil und in engen Kurven in die Höhe. Anfangs wird mir bei dem schnellen Höhengewinn doch irgendwie anders, bei einem Stopp zum Aussicht genießen habe ich ein wenig weiche Knie. Dabei ist Höhenangst eigentlich keines meiner Probleme. Und das Fahren macht einfach nur Spaß, mit der Zeit gewinne ich auch Routine bei den Fahrmanövern in den engen Kurven.

Am Sellajoch auf 2.244 Metern Höhe angekommen bietet sich bei nun teilweise blauem Himmel ein fantastischer Blick auf den Langkofel, dessen Spitze in tiefhängenden Wolken verschwindet. Da ich zumindest ein wenig „Bergerlebnis“ haben möchte, ziehe ich die Wanderschuhe an und laufe vom Pass aus ein Stück unterhalb der Sellatürme. Zunächst führt der Weg klar erkennbar als ausgetretener Pfad durch eine Bergwiese. Ich bin begeistert von der bunten Blumenvielfalt! Dann kommt ein Abschnitt mit größeren Felsbrocken, wo man die farbige Markierung des Wanderweges gut verfolgen muss. Ich liebe das Klettern über die Steine! Dahinter erreiche ich einen Pfad durch das Geröllfeld unterhalb der Sellatürme, den ich ein Stück gehe und später auf gleichem Weg wieder zurückkehre. Obwohl nur eine kurze, einfache Erkundung, bin ich doch selig. Die atemberaubenden Berge, die tiefen Täler, der durch die wehenden Wolken immer neue Anblick des Panoramas und über mir die beeindruckenden Sellatürme. Einfach nur: wow! Aber auch die Kehrseite wird mir bewusst gemacht. Am Beginn der großen Felsbrocken sind zwei Gedenkstellen für verunglückte Bergsteiger eingerichtet, u.a. für einen Mann aus dem Sauerland. Freud und Leid liegen am Berg sehr nah beieineinander.

Just als ich zurück am Auto bin, tröpfelt es ganz leicht. Nun fahre ich wieder die gleiche Strecke zurück, denn ich bleibe vorerst in östlicher Richtung unterwegs. Hinunter geht es wie immer schneller und irgendwie auch einfacher. Der nächste Pass wartet auf mich, der Passo Pordoi (2.239 Meter). Das Fahren fällt mir schon viel leichter, nur die dann und wann auftauchenden Fahrradfahrer machen es immer wieder spannend, die Überholmanöver kosten mich Nerven. Am Pass angekommen, hätte ich spätestens jetzt feststellen müssen, dass eine Wanderung auf den Piz Boè keinen Sinn macht – auch dieser Berg ist in Wolken gehüllt, die Spitze nicht einmal zu erahnen. Auch beim Anblick der Seilbahn, die ich hätte benutzen wollen, wird mir etwas anders. Die Seile führen sehr steil nach oben und verlieren sich in den Wolken. So parke ich lieber in bester Wohnmobilgesellschaft mit schöner Aussicht auf die Passstraße und ins Tal und verbringe über eine Stunde mit Kaffeetrinken, Lesen und Gucken.

Auf der anderen Seite fahre ich den Passo Pordoi hinab und immer weiter auf der großen Dolomitenstraße, nun durch das Buchensteiner Tal. Die Fahrbahn führt hier weit oben am Hang, rechts liegt das tiefe Tal unter mir. Die Ausblicke auf die Berge kann ich nur selten genießen, da ich doch ein bisschen auf die Straße achten muss. 😉 Dann kommt eine sehr spannende Stelle, schon von unten sehe ich, was mich erwartet: eine Kehre in einem unbeleuchteten Felstunnel. Es geht hinauf zum Passo di Falzarègo (2.105 Meter). Die Kehre im Tunnel ist dann doch leichter als gedacht und schon bin ich auf der Passhöhe. Hier diesmal kein Stopp, es geht direkt weiter, den Pass auf der anderen Seite hinunter, ins Tal von Cortina d’Ampezzo. Diesmal brauche ich Geduld, ich hänge hinter einem Linienbus fest, der natürlich noch langsamer um die Kurven fahren muss. Die Kurven nehmen scheinbar kein Ende.

Doch dann ist Cortina d’Ampezzo endlich erreicht und damit auch das Ende der Großen Dolomitenstraße. Die Stadt an sich will ich mir gar nicht ansehen. Sie war in den 1950er Jahren Austragungsort der Olympischen Winterspiele, damit wird immernoch geworben. Ich schaue mir drei verschiedene Campingplätze an, entscheide mich dann für einen außerhalb von Cortina. Dort bekomme ich einen Platz oberhalb eines kleinen „Strandes“ am helltürkisfarbenen Gebirgsbach namens Bòite, der laut rauschend am Campingplatz entlang fließt. Rundum stehen dunkle Nadelbäume und einige Bergspitzen sind zu sehen, das Tal ist hier recht eng. Es kommt ein bisschen Kanada-Feeling auf! 🙂

Da die Gastronomie des Platzes leider doch nicht geöffnet hat, esse ich zuhause. In der Dämmerung mache ich eine kleine Platzrunde und genieße nochmal das Rauschen des Baches. Als es später regnet, verziehe ich mich in die Kuschelecke meines Campers und suche mir für morgen spontan eine Wanderung mit Klettersteig bei outdooractive heraus, denn das Wetter soll jetzt endlich stabiler werden.

Übernachtung:
International Camping Olympia s.r.l.
Loc. Fiames 1
IT-32043 Cortina d’Ampezzo
GPS:
46°34’09.6″N 12°06’56.4″E oder 46.569321, 12.115660
Website
Preis: 24,50 €

Das Waschhaus ist zwar nicht das modernste, aber alles ist ordentlich und sauber. Ich hätte gerne die Gastronomie und den Laden genutzt, aber wegen Corona war das alles sehr eingeschränkt. Die Lage gefällt mir sehr gut, vor allem der Gebirgsbach direkt vor der Campertür!

Gefahrene Strecke: 93 Kilometer

Donnerstag, 16. Juli

Ich stehe früh auf, da ich ja heute aktiv werden will. Mit Öffnung der Rezeption bezahle ich, die Dame ist sogar so nett und guckt auch nochmal nach dem Wetterbericht und bestätigt mir, dass ich heute eine Wanderung wagen kann. Ich fahre nur vier Kilometer weiter, ans Ende des Tales. Dort ist ein großer Wanderparkplatz, der auch schon gut belegt ist. Wanderschuhe an, Rucksack mit Klettersteigset auf und los geht’s!

Der Weg führt auf schmalen Pfaden durch Wald, dann überquere ich wieder den Fluss Bòite, die Landschaft lässt mich sowohl an Kanada als auch an Finnland denken. Nun geht es parallel des Ru de Fànes, also des Fannesflusses, der in den Bòite mündet, stets bergan, bis ich einen Aussichtspunkt erreiche. Von hier erblicke ich das Highlight der Tour: einen Wasserfall, der in mehreren Stufen zu Tal stürzt. Außerdem kann ich schon den ungefähren Verlauf des Klettersteiges auf der anderen Talseite sehen und stelle so fest, dass der obere sogar hinter dem Wasserfall verläuft! Jipiiieee! 😀 Um dort hin zu gelangen, muss ich aber erstmal wieder runter zum Fannesfluss. Durch eine enge Felsrinne verläuft ein Weg in engen Windungen hinunter. Hinter mir ist ein Mann um die Fünfzig, der locker hinunter trabt, sein Hund hinterher. Ich dagegen gehe übervorsichtig Schritt für Schritt, weshalb ich den Mann an einer geeigneten Stelle vorbei lasse. Am Ufer des Flusses bietet sich wieder ein toller Blick auf den Wasserfall, von dem man hier bereits den feinen Sprühnebel zu spüren bekommt. Der Mann von eben spricht mich an, ob das nicht schön sei. Absolut! Er fragt, wo ich herkomme und verrät daraufhin, dass er ein waschechter Ampezzaner und ziemlich oft hier am Wasserfall ist. Das kann ich nachvollziehen! Er trabt nun wieder zurück, die Felsrinne hinauf.

Ich krame mein Klettersteigset hervor und ziehe die Handschuhe an. Endlich mal wieder ein Klettersteig! Mithilfe einer schmalen Stahlbrücke überquere ich den Fluss und steige in die via ferrata ein. Es dauert ein bisschen, bis ich wieder in einer gewissen Kletterroutine bin und flexibel genug denke. Nicht jeder Schritt oder Griff ist immer gleich der richtige. Ich bin sehr froh, dass ich hier gerade allein auf weiter Flur bin, so habe ich nicht das Gefühl, jemand würde drängeln. Wollen hoffen, dass nichts passiert und ich das Alleinsein bereuen müsste. 🙂 Alles läuft super und ich habe riesigen Spaß! Oben angekommen gibt es eine kleine Pause und dann geht es weiter auf der zweiten via ferrata, die zum Wasserfall führt. Hier ist deutlich mehr los, man geht im Gänsemarsch, auch viele Leute mit einfachen Turnschuhen, die sich einfach so am Stahlseil festhalten. Am Wasserfall selbst dann Stau, da natürlich alle ein Bild von sich mit der Kaskade haben möchten. Ich warte geduldig und freue mich dann umso mehr, als ich endlich hinter die Wasserwand treten kann. Wow, man spürt die unbändige Kraft des Wassers und hört sie vor allem! Ich gehe noch ein Stück weiter, von hier könnte man wieder zum ersten Klettersteig gelangen. Aber ich gehe lieber nochmal durch den Wasserfall und dann auf breiten Waldwegen wieder Richtung Parkplatz. (Eigentlich geht die Tour noch weiter Richtung Westen, aber ich belasse es für heute bei einer kleinen Runde.) Kurz bevor ich den Fluss ein letztes Mal überquere gehe ich ans Ufer, um den atemberaubenden Anblick nochmals in mich aufzusaugen. Auf dem letzten Stück des Weges kommt dann doch noch Wasser von oben, ein kurzer, aber sehr kräftiger Schauer. Wie gut, dass ich noch vom Wasserfall her wasserdicht angezogen bin. 🙂

Zurück am Parkplatz kommt aber schon wieder die Sonne raus. Nach fast einer Woche unterwegs hat es endlich mit einer tollen Wanderung geklappt und dann auch noch so eine außergewöhnliche!

Die Reise geht weiter, nun nach Norden, durch das Höhlensteintal über Toblach nach Innichen. Hier wird wieder vorwiegend deutsch gesprochen. In Innichen will ich eigentlich nur Lebensmittel einkaufen. Auf dem etwas außerhalb gelegenen Parkplatz trinke ich erstmal Kaffee und wundere mich, dass hier Lein einfach so am Wegesrand wächst. Dann spaziere ich in die Stadt, da der Spar-Laden, den ich mir herausgesucht habe, mitten im Zentrum ist. Schon auf den ersten Metern bin ich recht angetan von Innichen, es ist ein hübsches Städtchen mit mehreren Kirchen und einem schönen Flair. An einem Buchladen entdecke ich Wanderkarten und nehme gleich eine für die morgige Wanderung mit. Da ich Buchläden liebe, muss ich natürlich auch einmal durch die Regale stöbern. Und ist es Zufall oder Schicksal? Da steht doch tatsächlich ein dicker Schmöker, vorne drauf die Drei Zinnen mit Sternenhimmel: „Dolomitensagen“ von Karl Felix Wolff. Volltreffer! Ich freue mich schon riesig auf die Lektüre!

Buchtipp:
Wolff, Karl Felix: Dolomitensagen. Athesia.
ISBN 978-88-6839-399-1
Preis: 32,00 €

Onlineshop von Athesia

Wolff (geb. 1879, gest. 1966) sammelte über Jahrzehnte die alten Geschichten und Erzählungen, die er auf Wanderungen durch die Dolomiten von Einheimischen erzählt bekam. Oft ergab sich erst nach mehreren Jahren ein Gesamtbild einer bestimmten Sage. Wolff war außerdem Sprachforscher, Ethnologe und Historiker. Vielfach sind ausführliche Anmerkungen im Text enthalten, was die Lektüre weit über die zauberhaften Geschichten hinaus zu einem großen Vergnügen macht. Die Dolomitenbewohner verdanken Wolff, dass ihr Sagenschatz nicht wie so viele andere untergegangen ist, sondern bewahrt wurde (wenn auch der Schriftsteller oftmals selbst gestalterisch einfügen oder umgestalten musste, was er aber jedesmal offen vermerkt). Das Lesen des Buches nach meinem Urlaub war wie eine zweite Reise in die Dolomiten, manche Orte hatte ich gesehen und tauchte so sehr tief in die mythische Welt von Laurin, Dolasílla, Ey de Nèt und vielen anderen Sagengestalten hinab.

Nach dem Lebensmitteleinkauf streife ich weiter durch die Gassen und entdecke den schönen romanischen „Dom“, um den herum auch der Friedhof liegt. Mir fällt auf, dass fast alle Grabstellen Metallkreuze aufweisen. Ein Grab fällt mir besonders ins Auge, ich sehe es zunächst von hinten, es ist recht klein. Darauf ist ein Rosenstock gepflanzt, der die Grabstätte zu beschirmen scheint, über und über mit weißen Rosen. Der muss schon eine lange Zeit hier stehen. Ich gehe auf die andere Seite – es ist das Grab eines Kindes, das in den 1970er Jahren im Alter von fünf Jahren gestorben ist. 🙁 Dieses Grab hinterlässt einen großen Eindruck auf mich.

Zurück zum Camper und auf direktem Wege zum Caravanpark Sexten, einem der teuersten Plätze meiner Reise. Dafür bekommt man hier aber auch einiges geboten. Um wenigstens ein paar Euro zu sparen, gehe ich auf den Wohnmobilstellplatz, man kann trotzdem alle Einrichtungen und Annehmlichkeiten des Platzes nutzen. Bei der Anmeldung bestelle ich auch gleich einen Tisch in der Taverne des Platzes, meine Küche soll heute kalt bleiben.

Nachdem ich eingerichet bin, geht’s um halb sieben in die Taverne. Diese ist urgemütlich und etwas legerer als das Restaurant einen Stock höher (sicherlich auch günstiger 😉 ). Zurück am Camper bestaune ich wieder das Panorama, über mir ragt die Sextener Rotwand auf. Für morgen muss ich den Wecker um einiges früher stellen als sonst, ich habe Großes vor …

Übernachtung:
Caravanpark Sexten
St.-Joseph-Straße, 54
IT-39030 Moos
GPS: 46°40’07.5″N 12°23’58.5″E oder 46.668735, 12.399578
Website

Preis: 37,00 € (Wohnmobilstellplatz) bzw. 53,00 € (Campingplatz)

Luxuscamping. Wenn man das braucht. 😉 Für mich hätte es auch weniger getan, aber die Auswahl an Campingplätzen ist leider nicht besonders groß und frei stehen ist in Italien untersagt. Das Sanitärgebäude ist sehr hübsch und sauber. Der Laden scheint ein riesiges Sortiment zu haben, ich war gar nicht drin. Ich habe noch nie so viel Geld für einen Stellplatz bezahlt, wird wohl auch nicht wieder vorkommen.

Gefahrene Strecke: 47 Kilometer

Freitag, 17. Juli

Um fünf Uhr klingelt der Wecker. Ich bin aber schon wach, in Erwartung eines absoluten Highlights: die Wanderung zu den Drei Zinnen. Diese Felsformationen sind quasi die Ikonen der Dolomiten, genauso berühmt wie Matterhorn oder Mont Blanc. Ich fahre ins Fischleintal. Der Parkplatz am Ende der befahrbaren Straße soll acht Euro kosten und dort könnte ich das Auto nicht über Nacht stehen lassen, ist verboten. Mh, blöd. Ich will doch (wenn es klappt!) auf der Dreizinnen-Hütte übernachten. Also stelle ich den Wagen ein Stück weiter am Straßenrand ab, in der Hoffnung, dass mein Micro Camper morgen noch hier steht.

Rucksack auf, der dieses Mal deutlich schwerer ist. Immerhin muss alles mit: warme Unterkleidung, Schlafsack, Mindestmaß an Kulturbeutel-Inhalt und jede Menge anderer Kleinkram. Zunächst geht es durch das Tal bis zur Talschlusshütte. Ab hier ist stete Steigung im Spiel. Noch hängen ein paar Wolkenfetzen zwischen den Bergen, doch der Tag verspricht sehr sonnig zu werden. Während des Aufstiegs halte ich immer wieder an, um zu Atem zu kommen und um die Landschaft zu genießen. Der Einserkofel ist mein steter Begleiter. Im mich herum herrliche Blumen verschiedenster Formen und Farben: leuchtend pinke Alpenrosen, zartlila Glockenblumen, hellblaue Vergißmeinnicht. Nach zweieinhalb Stunden reinen Aufstiegs mache ich eine Jause. Dann weiter, ich quäle mich zwar ein bisschen, aber ich weiß ja, wofür. Schritt für Schritt weiter. Ich sehe auf – und da erkenne ich die Westliche und die Große Zinne! Innerlich mache ich einen Freudensprung. Doch das Ziel ist noch nicht erreicht. Vorbei an den Bödenseen und durch ein sumpfiges Gebiet mit Alpenwollgras erreiche ich eine kleine Anhöhe mit Kreuz, von der man einen perfekten Blick auf die Dreizinnen-Hütte mit den namensgebenen Bergen hat.

Noch ein letztes Stück und dann habe ich nach 8,3 Kilometern Strecke und 1.015 Höhenmetern die Hütte auf 2.450 Metern Höhe erreicht. Hier ist trotz Corona richtig viel los. Ich suche mir ein Plätzchen auf der Felsenebene vor der Hütte, um eine zweite Jause zu machen und dabei die Drei Zinnen in aller Ruhe zu bewundern. Nebenbei beobachte ich Alpendohlen, die auf einen Snack spekulieren und sich nah heran trauen. Wenn ich sie so beobachte, wie sie sich vom Fels stürzen, um dann in einer weiten Kurve aufzufliegen, werde ich ein bisschen neidisch. Manchmal stelle ich mir vor, wie toll das Gefühl des Fliegens sein muss.

Auf der Terrasse der Hütte sind neue, weit gereiste Gäste angekommen: eine kleine Herde Alpakas! Sie sorgen sofort für einen Menschenauflauf. Ganz schön groß, diese Viecher! Dann versuche ich in der Hütte die Übernachtung klar zu machen. Ich hatte zwar vorab über das Internet eine Buchung vorgenommen, aber nie eine Rückmeldung erhalten. Die junge Dame an der Bar trägt mich aber gerne auf dem Vorab-Plan ein, in einem Nebengebäude ist noch ein Schlafplatz möglich, der genug Abstand zu den anderen Gästen garantiert. Sicher habe ich den Platz aber erst, wenn der Chef nachher um 15 Uhr die Übernachtungsgäste „abfertigt“. Dann muss ich also nochmal vorsprechen.

Ich sehe mir kurz die Kapelle neben der Hütte von außen an und mache mehr Fotos von den Zinnen. Hier oben ist es ziemlich frisch, weshalb ich mich erstmal mit einem Latte Macchiato in der Bar aufwärme. Um drei stehe ich dann in der Büroecke des Hüttenwirts. Ich fasse mein Glück kaum: es klappt, die Übernachtung ist sicher! Im Preis sind auch Drei-Gänge-Abendessen und Frühstück enthalten. Juhu, ich werde das erste Mal auf einer Berghütte nächtigen! Ich bringe mein Gepäck in das Zimmer und nehme nur die Kamera mit. Ich erkunde den Weg, der zum Paternsattel führt und mache unzählige Bilder. In dem Tal zu Füßen der Zinnen ist es windstill und angenehm warm in der Sonne. Ich kann es kaum glauben, dass ich hier bin, die Majestät der Berge macht mich sprachlos. Ich bin überglücklich!

Um 18 Uhr gibt es Abendessen – auf einer Hütte darf man kein Sternerestaurant erwarten, satt wird man aber auf jeden Fall. Nun hoffe ich auf schönes Abendlicht, um noch mehr tolle Fotos der Zinnen zu bekommen. Zunächst sind immer wieder Wolken vor der Sonne, doch mit einem Mal klart es auf und die Zinnen leuchten golden auf. Ich stürze aus der Hütte, nicht als Einzige. Den Abend verbringe ich in der Bar und sehe mir das Treiben an. Gegen neun Uhr kommt eine Gruppe Astronomie-Fotografen an, da hätte ich ja eigentlich nicht übel Lust, mal mitzugehen. Aber ich habe ja nicht mal Handschuhe dabei, deshalb würde ich mir da so einiges abfrieren. Ich komme mit einem älteren Mann ins Gespräch, ein Römer, der recht gut Deutsch spricht. Kein Wunder, erst ist forschender Arzt an der Charité in Berlin – ausgerechnet auf dem Fachgebiet Allergologie und Asthma, genau meine Problemchen. Unser Einstiegsthema war Corona. 🙂 Er weist mich auf eine besondere Felsformation hin, die wir von dem Fenster, vor dem wir sitzen, direkt sehen können: die Zacken und Scharten sehen aus wie das Profil einer liegenden Frau und eines Kindes. Wunderschön! Das wäre mir nie aufgefallen. Um zehn Uhr schließt die Bar und der Mann verabschiedet sich. Da ich ja auch schon lange wach bin, verziehe ich mich ebenfalls. Draußen genieße ich eine kurze, kalte Weile den Anblick der nächtlichen Berge und des Sternenhimmels und sehe, wie die Astro-Fotografen in Richtung Zinnen losziehen. Ich bin etwas enttäuscht, dass der Sternenhimmel so unspektakulär ist, aber rund um die Hütte ist einfach zu viel Lichtverschmutzung. Da müsste ich doch den Bilderschützen hinterhergehen, um die Milchstraße sehen zu können.

Übernachtung/Abendessen:
Dreizinnenhütte/Rifugio A. Locatelli alle tre Cime
di Lavaredo Mt. 2450
IT-39030 Sexten

GPS: 46°38’13.2″N 12°18’37.8″E oder 46.637012, 12.310496
Website
Preis: 63,00 € (Halbpension)

Große Hütte mit Gastronomie mit perfektem Blick auf die Drei Zinnen. Hier treffen Tagesausflügler auf Bergwanderer, eine sehr bunte Klientel. Das Zimmer, das ich genutzt habe, war gut, natürlich alles ganz einfach, aber zweckmäßig und sauber. Man muss halt immer bedenken, dass alles hier mit dem Hubschrauber hingebracht werden muss, eine befahrbare Straße hierher gibt es nicht. Und das ist auch gut so. Ach ja, und Handyempfang oder sogar LTE gibt es hier auch nicht. Das WLAN ist auch nur für die Hütte selbst, kein Gast-Wifi. Aber wofür ist man denn schließlich in den Bergen? Ich zumindest möchte das Naturerlebnis haben und nicht das dreiundzwanzigste Selfie direkt nach Schuss in das weltweite Netz spammen. 🙂

Gefahrene Strecke: (nicht dokumentiert)

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