Wandern auf dem Jakobsweg: von Trier nach Domrémy-la-Pucelle – 4. Teil

Donnerstag, 15. September 2022

Kaum zu glauben, aber heute ist schon der letzte Wandertag, die Ziel-Etappe steht an! Zum Frühstück gehe ich in das Wohngebäude, wo Pascale mich empfängt und ich die Küche leitet. Dort darf ich am großen Tisch Platz nehmen und mir frisches Baguette mit selbstgemachten Konfitüren schmecken lassen. Meine Gastgeberin setzt sich dazu und wir unterhalten uns. Ich frage sie unter anderem, ob es in Vaucouleurs noch Dinge aus der Zeit von Jeanne d’Arc gibt. Sie meint, Gebäude gibt es nicht mehr, auch die Burg nicht, aber da steht ein Baum, der damals wohl schon im Hof der Burg stand. Ich frage, was für ein Baum – tilleul. Aha, da ist das Wort wieder! Der Camingplatz in Sierck-les-Bains hieß „les tilleuls“ und ich habe sehr oft Straßenschilder mit diesem Wort gesehen. Es ist also ein Baum, aber welcher? Pascale macht auch Tees und Kräutermischungen selbst und zeigt mir die getrockneten Früchte des Baums – ah, es ist eine Linde! Wieder ein neues Wort gelernt und das auf besonders einprägsame Weise. Viel besser, als es einfach zu googeln. Zum Abschluss lasse ich mir noch einen Stempel auf meinen Pilgerbrief geben.

Nachdem ich meinen Buddy vollends gepackt und den Poncho übergeworfen habe, geht es weiter auf dem Camino. Ich winke Pascale nochmal zu, sie steht am Küchenfenster. Ich kann nur jedem Pilger (oder auch anderweitig Reisenden) empfehlen, bei Pascale Station zu machen: so herzlich und fürsorglich! Durch feinen Nieselregen laufe ich nun in südlicher Richtung parallel zur Maas. Der Flusslauf ist wie es scheint noch ganz natürlich, es gibt viele Windungen, hier und da Kiesstrände und -inseln. Beim Dörfchen Champougny versucht ein Fliegenfischer sein Glück. An einem alten Hofgebäude sehe ich einen Türsturz mit der Inschrift „vive le roy Louis“ (dt. „es lebe König Ludwig“), der die Revolution von 1789 überstanden hat. Welcher Louis wohl gemeint war? Es gab ja einige vom 17. bis zum 19. Jahrhundert in Frankreich.

Dann durchquere ich den Ort Taillancourt. Ich sehe in einer Kurve die kleine mairie des Ortes, denke mir aber nichts. Da tritt eine Dame aus der Tür, winkt in meine Richtung und macht eine Geste des Stempelns. Na aber klar! Sie hat die Pilgerin in mir erkannt. Ich freue mich riesig und folge ihr in das winzige Büro und erhalte den farbigen Abdruck. Mit mehrfachem merci verabschiede ich mich wieder. Okay, ich merke mir also, dass ich statt in die Kirchen besser in die mairies gehe, um Stempel zu erhalten.

Auf einer Anhöhe mache ich meine Mittagspause, von hier kann ich das Maastal schön überblicken. Langsam lockert die Bewölkung etwas auf. Dann geht es weiter, nun wieder in den Wald, der Weg führt zunächst steil bergan und dann über die Höhe. Jetzt scheint auch die Sonne und ich bin so rundum zufrieden, dass ich spontan laut „Wonderful world“ von Louis Armstrong singe. Die Landschaft hier gefällt mir ausnehmend gut, das Tal ist recht breit, die Hügel rundherum sanft gewellt und die Maas schlängelt sich frei hindurch.

Dann mache ich einen Abstecher zur Kapelle von Bermont. Angeblich hat Jeanne d’Arc hier jeden Sonntag vor einer Marienstatue gebetet. Leider ist die Kapelle verschlossen, es gibt nur eingeschränkte Besichtigungsmöglichkeiten. Die Statue der Jungfrau neben der Kapelle finde ich nicht so ganz gelungen, ich finde sie ein bisschen zu aufreizend. Nach einer weiteren kleinen Pause geht es weiter, nun wieder ein Abstieg, hinunter nach Greux, dort fällt mir ein Restaurant auf, das heute Abend geöffnet sein wird. Und schon stehe ich vor dem Ortsschild von Domrémy-la-Pucelle – Jahresetappenziel erreicht!!! Diesmal ist es etwas ganz anderes als in Köln oder Trier, kein großer Dom, keine trubelige Stadt. Nur ein kleines Dorf in Lothringen.

Zuerst gehe ich zur mairie, jetzt weiß ich ja, wo ich Stempel bekommen kann. Aber sie ist leider geschlossen. Morgen ein neuer Versuch. Deshalb geht es direkt weiter zur kleinen Kirche Saint Rémy, in der Jeanne getauft worden ist. Hier finden sich natürlich allerlei Dinge zur berühmten Tochter des Dorfes, die die Wende im Hunderjährigen Krieg zwischen England und Frankreich brachte und dafür mit ihrem jungen Leben bezahlte. Neben Kirchenfenstern mit den wichtigsten Stationen ihres kurzen Lebens findet sich unter anderem auch eine Büste, in dessen Sockel sich Asche vom Scheiterhaufen aus Rouen befinden soll.

Jeanne d’Arc war ein Mädchen aus Domrémy, das im Alter von 13 Jahren erstmals Stimmen hörte, die sie aufforderten, die Engländer aus Frankreich zu vertreiben und den noch nicht gekrönten König von Frankreich nach Reims zur Krönung zu führen. Mit 16 fasste sie den Mut, sich eine Eskorte vom Garnisonschef in Vaucoulers zu erbitten, die sie mit einem Empfehlungsschreiben zum König nach Chinon an die Loire brachte. Sie konnte ihn überzeugen, von Gott gesandt zu sein und erhielt eine Rüstung, ein Schwert und ein Banner. Sie führte die französischen Truppen zur Befreiung des von den Engländern belagerten Orléans und gewann in der Folge weitere Schlachten. Der König wurde in Reims gekrönt. Jeanne hatte ihr Ziel erreicht, wollte aber die Engländer aus ganz Frankreich vertreiben. Die Befreiung von Paris misslang jedoch. Schließlich wurde sie von den mit den Engländern verbündeten Burgundern vor Compiègne gefangen genommen, an die Engländer verkauft und über ein Jahr inhaftiert. In Rouen machte man ihr den Prozess wegen Ketzerei und sprach sie schuldig. Im Alter von 19 Jahren starb sie am 30. Mai 1431 in den Flammen des Scheiterhaufens.

Direkt neben der Kirche steht das vermutliche Geburtshaus der Jungfrau von Orléans, welches mein „offizielles“ Ziel dieser Etappe ist. Es ist mit Eintritt zugänglich, eine Ausstellung gibt es in einem weiteren Gebäude. Es ist schon erstaunlich: es gibt keinerlei physische Belege von Jeanne selbst. Alles, was wir über sie wissen, stammt aus den Akten des Ketzereiprozesses und des Jahre später durchgeführten Rehabilitationsprozesses, in dem das Urteil der Ketzerei vollständig zurückgenommen wurde. Von ihr haben wir nur ihre protokollierten Aussagen. Mir gefällt die hiesige Ausstellung, die wirklich versucht, das Mädchen hinter der Legende zu finden, ohne dabei den Besucher mit Informationen zu „überfrachten“.

Museum
Site de la maison natale de Jeanne d’Arc à Domremy
2 Rue de la Basilique
FR-88630 Domrémy-la-Pucelle
GPS: 48.44215739922128, 5.674489381836446
Website
Eintritt: 5,00 €

Nun gehe ich zum Campingplatz des Ortes, wo die Rezeption glücklicherweise noch besetzt ist. Die nette junge Dame beantwortet mir auch die Frage nach einem Bus – ich muss morgen von Neufchâteau aus den Zug nehmen und will von hier mit dem Bus dorthin fahren. Doch leider: in Domrémy verkehrt gar kein Bus. Okay, dann muss ich also nochmal zehn Kilometer laufen. Schnell das Zelt aufbauen, wieder neben einem Picknicktisch. Nach dem Frischmachen gehe ich nach Greux und kehre im „La Marmite“ ein. Passenderweise haben sie Jakobsmuscheln auf der Karte.

Restaurant „La Marmite“
3 Rue Jeanne d’Arc
FR-88630 Greux
GPS: 48.44785698325486, 5.676092552478142
Website

Ein hübsches kleines Restaurant mit Bar, in der man auch Weine verkosten kann. Die Preise sind etwas höher, aber dafür bekommt man auch hervorragende Qualität – sowohl geschmacklich als auch optisch. Hätte ich in so einem kleinen Dorf gar nicht erwartet. Auch der Service ist einwandfrei.

Die ob der Ländlichkeit erwartete Abendruhe stellt sich leider nicht ein – Düsenflieger kreisen über dem Tal. Da nützen auch die besten Ohrstöpsel nichts.

Übernachtung:
Campingplatz „Camping Intercommunal de Domrémy-la-Pucelle“
Chemin de Sentilles
FR-88630 Domrémy-la-Pucelle
GPS: 48.44416958429325, 5.676586181434297
Website
Preis: 7,62 €

Kleiner Platz am Rande des Dorfes, der Blick schweift über Wiesen und Felder. Es gibt keine Parzellierungen, einfach nur eine Wiese und ein Fahrweg. Ein paar Bäume gibt es, aber nicht viele. Die Rezeption ist morgens und am frühen Abend besetzt. Die Sanitäranlagen waren 2022 recht einfach, aber okay. Aktuell (2024) wird der Platz renoviert, er soll eine Toranlage erhalten und ich hoffe, dass auch das Sanitärgebäude renoviert oder neu gebaut wird. Im Frühjahr 2025 soll alles fertig sein.

Freitag, 16. September 2022

Noch vor dem Frühstück baue ich das Zelt ab. Gegenüber von mir steht ein Wohnmobil, dessen niederländischer Besitzer mir einen Kaffee zum Frühstück anbietet. Ich danke, hole mir aber mein Frühstück von der Rezeption. Wir kommen noch kurz ins Gespräch, er fragt, ob ich nach Santiago pilgere. Er ist mit seiner Frau vor einigen Jahren auf dem Drahtesel von den Niederlanden nach Santiago gepilgert.

An der Rezeption sitzt jetzt ein anderes Mädel als gestern, ich hole die bestellten Croissants und einen Kaffee bei ihr ab. Neben meinem gepackten Rucksack verputze ich beides und mache mich dann auf den Weg. Zuerst zur mairie, ich muss doch noch irgendwie den finalen Stempel bekommen. Das Büro ist zwar zu, aber im gleichen Gebäude ist die Post. Ich frage die Dame, ob sie mir weiterhelfen kann. Ja, sie hat einen Schlüssel zum Bürgermeisterbüro und setzt den Stempel auf meinen Pilgerbrief. Juhu! Und außerdem schenkt sie mir eine Ansichtskarte mit einer Zeichnung des Geburtshauses der Jeanne d’Arc. Vielen Dank! Ein bisschen leer ist der Pilgerbrief ja schon, aber für das nächste Mal weiß ich, wo ich meine Stempelsucht befriedigen kann. 😉

Ich entscheide mich, an der Landstraße entlang Richtung Neufchâteau zu laufen. Ich hebe den Daumen und fordere mein Glück heraus. Zwei Autos fahren vorbei, aber das dritte hält an: es ist die junge Frau aus der Rezeption des Campingplatzes! Sie hat Feierabend und ist auf dem Weg nach Hause, sie wohnt in Neufchâteau und bringt mich direkt bis vor den Bahnhof. Unfassbar, welches Glück ich habe! Statt zweieinhalb Stunden laufen an der Straße nur zehn Minuten gemütliche Autofahrt. Merci! Und auch im Bahnhof habe ich Glück, der Schalter ist besetzt und die nette Dame sucht mir eine sehr gut passende Verbindung nach Trier heraus. Dort werde ich nochmal eine Zwischenübernachtung einlegen. Der Zug steht bereits am Gleis. Heute fluppt es richtig!

Über Nancy und Metz fahre ich wieder nach Norden, einen großen Teil meiner gelaufenen Strecke sehe ich so wieder. Das ist jedes Mal schön, die Strecke auf diese Art nochmal zu erleben und zu denken „da war das“ und „dort war jenes“. Nochmal in Luxemburg umsteigen und an der Grenze zu Deutschland: Kommando Masken auf! Muss man nicht verstehen: es ist derselbe Zug, die selben Menschen sitzen drin und nur weil wir die Grenze überqueren, müssen plötzlich alle den Schnutenpulli anziehen.

Zurück in Trier gehe ich direkt zur noch unterwegs gebuchten Unterkunft, dem Kolpinghaus mitten in der Altstadt. Nachdem das Zimmer unterm Dach bezogen und das Gepäck abgelegt ist, gehe ich in die Stadt. Zuerst Kaffee und Kuchen im Café Elisabeth und dann ein paar Besorgungen. Für das Abendessen kehre ich am Hauptmarkt ein und lasse mir den ersten Federweißer der Saison schmecken. Danach streife ich im Dämmerlicht durch die Gassen.

Weinstube „Zum Domstein“
Hauptmarkt 5
54290 Trier
Website

Bei Touristen beliebtes, wunderbar uriges Lokal mit herzhafter, gutbürgerlicher Küche. Auch beim Service gab es nichts auszusetzen.

Übernachtung:
Kolping Hostel Trier im Warsberger Hof
Dietrichstraße 42
54290 Trier
Website
Preis: 37,78 € für Übernachtung, 9,00 € für Frühstück

Hostel mit einfacher, aber vollkommen zweckmäßiger Ausstattung. Im Zimmer gibt es ein Waschbecken, Toiletten und Duschen sind auf dem Flur und gemeinschaftlich nutzbar. Alles ist sauber und in Ordnung. Das Frühstückbüffet bietet eine solide Auswahl. Die Lage mitten in der Altstadt gegenüber vom Frankenturm ist ein unschlagbarer Pluspunkt. Deshalb vielleicht auch der vergleichsweise hohe Preis …

Samstag, 17. September 2022

Am Morgen überkommt mich wieder ein heftiger Schwindel, wie letztes Jahr auf Mallorca. Ohje, ich muss aber doch nach Hause! Mithilfe einer Übung, die mir mein HNO-Arzt seinerzeit empfohlen hatte, bekomme ich das Problem aber in den Griff. Zum Frühstücksbuffet komme ich gerade noch rechtzeitig.

Vorsichtig starte ich mit dem schweren Rucksack, aber es läuft gut. Noch schnell in der Apotheke was besorgen, was den Schwindel zusätzlich bekämpft. Wie gut, dass ich das Zugticket als Flexiticket gebucht habe, so kann ich auch einen späteren Zug nehmen. So trete ich zwei Stunden später als geplant die Heimreise an.

Natürlich nicht ganz ohne Störung – ich fahre schließlich mit der Deutschen Bahn -, in Letmathe habe ich unfreiwillig einen längeren Aufenthalt. Ich kehre ins Bahnhofscafé ein, das ein Inklusionsbetrieb ist. Ein tolles Projekt, das hoffentlich gut genutzt wird. Statt des geplanten IC nehme ich dann einen RE und erreiche in Finnentrop noch den letzten Zug nach Olpe. Die Strecke am Biggesee entlang ist echt schön! Ist ewig her, seit ich sie zum letzten Mal gefahren bin. So komme ich in der Abendsonne zuhause an.

Und wieder ist eine Jahresetappe des langen Weges nach Santiago de Compostela geschafft! Dieses Mal bin ich insgesamt 256 Kilometer gelaufen. Ich freue mich, dass die nächsten drei, vier Jahresetappen alle durch Frankreich führen werden – ich fühle mich in unserem großen Nachbarland einfach nur wohl. 2023 geht es weiter auf dem Jakobsweg!

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