Mittwoch, 16. August
Nach Grindelwald war es nur ein Abstecher, heute fahre ich zurück ins Rhonetal, nochmal über den Grimselpass. So kann ich auf dessen Südseite auch super beide Passstraßen auf ein Bild bekommen. In Gletsch wähle ich also nun die Straße zum Furkapass und erhalte erste Blicke auf die sehr junge Rhone. Auch hier windet sich die Straße durch viele Kurven, die teils auf nicht unbedingt vertrauenerweckend dünnen Pfeilern gebaut sind. Vorbei am berühmten Hotel Belvédère in einer Haarnadelkurve fahre ich bis zur Passhöhe. Hier werde ich heute auch übernachten, auf dem Furkapass ist das geduldet. Ich hoffe auf einen herrlichen Sternenhimmel. Ich finde ein nettes Plätzchen nah am Abgrund und habe zunächst noch eine schöne Aussicht aus der Schiebetür, bis sich ein großes Wohnmobil neben meinen Microcamper stellt.
Nach dem Kaffeetrinken mache ich mich wanderfertig und laufe über schmale und teils steile Pfade mit grandiosen Ausblicken hinunter zum Rhonegletscher. Auf dem Weg sehe ich außerdem eine Dampflok, die den Pass hinaufschnauft, einen Wanderer vor mir mit großem Rucksack (der vielleicht auf Pilgerreise ist?) und alte Bunkeranlagen, die teils aus echtem, teils aus künstlichem Fels bestehen. Auch die Flora am Wegesrand ist wieder sehr interessant. Nach circa einer Stunde ist der Aussichtspunkt auf den Rhonegletscher erreicht. Der Anblick beeindruckt mich sehr, fast noch mehr als der des Aletschgletschers. Das Gletscherwasser bildet seit etwa 2007 einen großen See und der Überlauf markiert die Quelle der Rhone, die sich über die Felskante ins Tal stürzt und die lange Reise zum Mittelmeer beginnt.
Der Rhonegletscher ist 7,7 Kilometer lang (Stand 2013) und etwa 350 m dick. Bis zum Ende der Kleinen Eiszeit um 1850 reicht er noch hinab bis zum Ort Gletsch.
Der Gletscher ist sehr bequem erreichbar, gegenüber vom Hotel Belvédère führt ein eintrittspflichtiger Fußweg zu ihm. Außerdem gibt es eine Grotte innerhalb seines Eises, die betreten werden kann. Um sie zu erhalten, wird dieser Teil des Gletschers mit weißen Planen abgedeckt. Von ihrer Quelle bis zur Mündung ins Mittelmeer in Südfrankreich schlängelt sich die Rhone gut 807 Kilometer durch die Schweiz und Frankreich. Interessanterweise ist der Name des Flusses in Frankreich männlich: le Rhône.
Ich genieße lange diesen Ausblick und mache mir immer wieder die enorme Reise des Wassers bewusst. An der Mündung in der Camargue war ich schon und auch in Avignon habe ich am Ufer des Flusses geweilt. Dann gehe ich hinab zum See, lese einige der interessanten Schautafeln des Gletscher-Lehrpfads und wende mich anschließend der Grotte zu. Dazu habe ich ein zwiegespaltenes Verhältnis: dadurch, dass ich als Besucher in die Grotte hineingehe, trage ich im Grunde dazu bei, dass der Gletscher weiter schmilzt, da ich meine Körperwärme mitbringe. Die Planen, mit der dieser Teil des Eises abgedeckt ist, finde ich von außen furchtbar hässlich, aber sie zögern das Abschmelzen immerhin etwas hinaus. Als ich aber in der Eishöhle bin, kann ich mich der Faszination nicht entziehen – es ist eines der absoluten Highlights meiner Tour! Vielfach ist das Eis beleuchtet, sodass man die innere Struktur gut sehen kann.
Es fängt leicht an zu regnen, sodass ich entscheide, nicht zurück zum Pass zu laufen, sondern den hier verkehrenden Postbus zu nutzen. Bis der kommt, ist noch etwas Zeit, ich trinke noch einen Kaffee am Imbiss. Ich wundere mich etwas, dass das Hotel Belvédère geschlossen ist. Klar ist die Lage herausfordernd und die Saison kurz, aber es ist doch so bekannt und wäre mit der richtigen Nutzung sicher ein Besuchermagnet.
Das Hotel Belvédère diente im James-Bond-Film „Goldfinger“ mit Sean Connery als Kulisse, der Geheimagent fährt in atemberaubendem Tempo durch die Kurven der Passstraße. Das Hotel wurde um 1882 erbaut und ist seit 2015 geschlossen.
Leider lassen sich manche Leute falsch von James Bond inspirieren. Ich beobachte zwei junge Männer aus Frankreich, die ein PS-starkes Fahrzeug fahren. Der eine steht auf dem Parkplatz und filmt und der andere fährt von unten mit einem Affenzahn um die enge Kurve und zieht dabei die Handbremse an, sodass das Heck des Autos ausbricht. Das Ganze wiederholt sich nochmal, nachdem er oben gedreht hat und wieder hinab fährt. Wenn da jetzt Gegenverkehr käme! Was für Idioten!
Ich lasse mich gemütlich vom Bus zurück zur Passhöhe kutschieren und mache es mir im Camper gemütlich. Der Regen sowie die im Westen durch die Wolken brechende Sonne sorgen für einen kräftig-bunten Regenbogen im Osten, wunderschön! Heute gibt es ein schnelles Abendessen in Form eines Trekking-Meals.
Da ich ja Sterne gucken will, lege ich mich recht früh schlafen. Gegen vier Uhr morgens soll der Himmel aufklaren. Das Wetter macht mich aber bereits um elf Uhr abends wieder wach, es stürmt regelrecht. Alle Wohnmobile fahren ein Stück vom Abhang zurück, mein Camper kriegt nun den Wind voll auf die Breitseite. Das ist mir nicht geheuer. Ich parke auch um, stelle mich halbwegs in den Windschatten der kleinen Imbissbude. Wegen vieler Wolken und anhaltendem Regen ist es keine Option, jetzt den Pass hinunter zu fahren. Der Wind heult und lässt meinen Camper leicht wackeln. Kurz nach Mitternacht ist der Spuk glücklicherweise vorbei. Sterne gucken gibt auch nichts, die Wolken wollen sich nicht verziehen. Sehr schade.
Übernachtung:
Parkplatz am Furkapass
CH-3999 Obergoms
GPS: 46.572528802958914, 8.415166962041264
Website
Preis: kostenlos
Das Campieren ist hier geduldet, ich habe sogar Leute mit Zelt gesehen! Infrastruktur gibt es nicht, tagsüber immerhin einen Imbiss. Da der Pass in West-Ost-Richtung, der meist vorherrschenden Wetterrichtung, ausgerichtet ist, kann es recht ungemütlich werden. Aber hey! Wo kann man schon auf solch einer Höhe mit dem Camper übernachten?! Und die Aussicht in alle Richtungen ist einfach grandios!
Gefahrene Strecke:
97 Kilometer
Donnerstag, 17. August
Dies ist der bislang höchste Übernachtungsplatz mit Camper für mich, auf 2.436 Metern über dem Meer. Die etwas aufregende Nacht ist recht schnell vergessen, als ich morgens noch im Bett sitzend durch die ein wenig geöffnete Schiebetür den Sonnenaufgang über den Bergen verfolgen kann. Ein sehr intensiver Moment voller Freude!
Jetzt geht es direkt weiter zum nächsten Pass: über Andermatt erreiche ich den Oberalppass. Heute steht wieder eine größere Wanderung auf dem Programm. Vom Oberalppass zum Toma-See, der lange als Quelle des Rheins galt. Somit ist klar, dass ich am Furkapass einen Teil der großen europäischen Wasserscheide gequert habe, nämlich die zwischen Mittelmeer und Nordsee.
Tatsächlich lässt sich kaum nur eine einzige Quelle als jene des Rheins ausmachen. Wenn dich das näher interessiert, kannst du es bei Wikipedia nachlesen. Ich finde es dort sehr gut erklärt. Jedenfalls steht am Toma-See eine Tafel, die ihn als Rheinquelle bezeichnet und seine Länge bis zur Mündung angibt: 1.230 Kilometer lang ist die Reise des Wassers bis Hoek van Holland. Eine kleine Nachbildung des dortigen Leuchtturms ist am Oberalpass aufgestellt worden.
Der Weg führt zunächst ein Stückchen hinab durch Wiesen und dann auf einen schmalen Pfad am Fels, der später wieder breiter wird. Je weiter es nach oben geht, desto mehr muss ich auch die Arme einsetzen beim leichten Klettern über Felsen. Eine Tour ganz nach meinem Geschmack! Markiert ist sie auch super, die rot-weißen Markierungen sind beinahe inflationär auf die Felsen gemalt. Gegen Mittag erreiche ich den Toma-See. Wow, wunderschön, wie er hier so verwunschen in einem Talkessel zwischen den Bergen liegt. Ich wage ein paar barfüßige Schritte durch das kalte Wasser.
Der Himmel hat sich inzwischen zugezogen und es grummelt leise in der Ferne. Ohje, das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen! Zunächst mache ich es einem anderen Wanderpärchen nach und setze mich unter einen größeren Felsen, um das schlechte Wetter abzuwarten. Zwei weitere Wanderer sind hier oben, mit einem von ihnen war ich vorhin kurz ins Gespräch gekommen, als er oberhalb des Sees auf seinen Kumpanen wartete. Die beiden Schwaben wollen schnellstmöglich zur Maighels-Hütte, sie gehen nicht davon aus, dass das Wetter kurzfristig besser wird. Ich darf mich ihnen anschließen, die Hütte liegt eh auf meinem Weg und allein bei Gewitter in den Bergen möchte ich nicht sein.
Die beiden kennen sich gut aus in dieser Gegend und so sprinten wir über Felsen hinab, Wiesenpfade hinauf (ich schnaufe wohl eher) und über kleine Ebenen. Es grummelt immer wieder, dank des Ponchos bleibe ich wenigstens trocken. Nach einer Stunde haben wir die Hütte erreicht und flüchten uns ins Warme und Trockene. Eine heiße Suppe und ein kühles Weißbier wecken wieder meine Lebensgeister. Der Regen wird etwas weniger und bald wagen wir drei den letzten Teil des Weges, zunächst über die Schotterstraße hinunter. Dann wieder ein bereits bekanntes Stück über schmale Pfade am Felsen, die trotz der Nässe gut zu bewältigen sind. Zurück am Parkplatz verabschiede ich mich von meinen sehr netten vorübergehenden Gefährten, ihre Gesellschaft hat mir in den letzten paar Stunden viel Sicherheit gegeben – beide sind Rettungssanitäter. 🙂
Für mich geht es nun mit dem Camper weiter, den Pass hinab entlang des größer werdenden Flusslaufes bis nach Disentis. Auf dem dortigen Campingplatz beziehe ich eine Parzelle in der Nähe des Ufers des Vorderrheins. Heute lasse ich mal wieder kochen und kehre im Restaurant des Platzes ein. An meinen großen Tisch setzt sich ein Pensionär dazu, mit dem ich mich bestens über Camping und Reisen im Allgemeinen unterhalte.
Übernachtung:
TCS Camping Fontanivas
Fontanivas 9
CH-7180 Disentis
GPS: 46.69733178071219, 8.85304709908491
Website
Preis: 48,00 CHF
Ein weiterer gut ausgestatteter Campingplatz des schweizerischen Automobilclubs, direkt am Vorderrhein und an der Straße zum Lukmanierpass. Er liegt im Wald und ist in Terrassen angelegt und bietet so je nach Geschmack Flussnähe, Sonne oder Schatten. Die Sanitärräume sind großzügig und sauber. Und man kann hier sogar Goldwaschen! Im Rhein gibt es nach wie vor kleinste Mengen Gold zu finden.
Restaurant Ustria Fontanivas
(siehe Daten Campingplatz)
Direkt neben der Rezeption, modern-gemütlich eingerichtet. Kleine, aber gute Auswahl an Speisen, deren Qualität mich überzeugt hat.
Gefahrene Strecke:
58 Kilometer
Freitag, 18. August
Am Morgen trockne ich die nassen Klamotten vom Vortag in der Sonne, heute wird es wieder ein schöner Tag werden. Ich fahre zum Bahnhof von Valendas-Sagogn – die „Straße“ dorthin ist eine einspurige Schotterpiste und sorgt für Nervenkitzel. Auf dem Programm steht die Durchwanderung eines Stücks der Ruinaulta.
Dieser Teil des Rheintals ist absolut spektakulär: der Fluss hat sich durch Jahrtausende tief in das lockere Gestein eines Felssturzes gearbeitet und schlängelt sich nun durch eine atemberaubende Schlucht. Parallel verläuft eine Bahnstrecke und man kann den Fluss auch per Rafting-Schlauchboot erkunden. Der rätoromanische Name „Ruinaulta“ ist zusammengesetzt aus den beiden Wörtern Ruina (deutsch «Geröllhalde» und «Abbruch») und aulta (deutsch «hoch»). Die Felswände sind bis zu 400 Meter hoch.
Ich fahre mit dem Zug zum nächsten Bahnhof von Versam-Safien, genieße so schon ein erstes Mal den Ausblick und wandere von dort gemütlich zurück. Die Strecke ist zwar nur kurz, aber zu sehen gibt es fantastische Landschaften: die Kalksteinwände mit ihren vielen verschiedenen Formen, die weiten Flussauen, Kiesbänke im milchig-türkisen Fluss. Einmal laufe ich auch ans Flussufer (Achtung! Beschilderung beachten! Von April bis Juli darf man die Auen wegen Brutzeit nicht betreten!) und wate durch das Wasser. Dabei werden meine Füße aber eher schmutzig als sauber, anscheinend ist im Flusssediment viel Graphit enthalten. Der letzte Kilometer führt weitgehend durch einen schönen schattigen Auwald.
Nun fahre ich weiter nach Chur, direkt zum CP. Heute koche ich wieder selbst, ein schönes Stück Entrecôte brutzelt in der Pfanne. Den Abend lasse ich gemütlich ausklingen, später in Gesellschaft eines Allgäuer Pärchens von nebenan, die nur mit ihrem Kombi, Luftmatratzen und ein paar Kleinigkeiten unterwegs sind. Wir unterhalten uns bestens und ich kann mit Strom für das Handy des Mannes aushelfen.
Übernachtung:
Camp Au Chur
Felsenaustrasse 61
CH-7000 Chur
GPS: 46.8619844510659, 9.507319684536272
Website
Preis: 23,80 CHF
Direkt am Rhein und am Rand von Chur gelegen. Kleiner, feiner Platz mit sauberen und großzügigen Sanitärs. Ein Restaurant gibt es auch. Vor dem Campingplatz ist eine Bushaltestelle für die Verbindung in die Innenstadt. Nebenan ist ein Schwimmbad mit Freibad. Im Sommer kann von dort eine ordentliche Geräuschkulisse herüberwehen.
Gefahrene Strecke:
71 Kilometer
Samstag, 19. August
Mit dem Auto geht es in die Innenstadt ins kühle Parkhaus und sodann erkunde ich das hübsche Städtchen Chur. Ich habe Glück: es ist Markttag und so kann ich neben bunten Häusern in verwinkelten Gassen auch die vielen Stände mit frischen Lebensmitteln und anderen schönen Dingen bewundern. Auch das normale Shopping kommt nicht zu kurz, vor allem im bestens sortierten „Kuchilada“ muss ich an mich halten, um nicht das halbe Sortiment aufzukaufen. In der „Zuckerbäckerei“ kaufe ich eine Bündner Nusstorte, eine lokale Spezialität. Im Gewölbe unter dem Rathaus spielt eine Gruppe Alphornbläser, ich lausche ihnen eine Weile und bin ergriffen von dem schönen Klang. Mag ja nach Klischee klingen, aber schön ist es trotzdem.
So langsam will ich mich Richtung Heimat bewegen. Am Rhein entlang geht es zum Bodensee, hier ergibt sich leider keine kostenlose Parkmöglichkeit mit Seeblick fürs Kaffeetrinken. Deshalb erfolgt das recht unromantisch an der nächstbesten Raststelle an der Autobahn zurück in Deutschland. Wie schön war es doch, in der Schweiz geruhsam mit 120 km/h dahin zu cruisen – jetzt nerven wieder die Raser. In Lorsch fahre ich von der Autobahn ab, parke direkt an der alten Klosteranlage und finde ein Restaurant mit Blick auf die karolingische Torhalle, wo es auch noch richtig leckeres Essen gibt. Ich schlendere durch die wenigen Reste der einst stolzen Klosteranlage und trete dann die letzte Etappe nach Hause an.
Wirtshaus „Im Weißen Kreuz“
Marktplatz 2
64653 Lorsch
GPS: 49.65390950015596, 8.567935908193267
Website
Der Kellner war zwar etwas grantig, aber das Essen sehr lecker. Bei schönem Wetter unbedingt draußen sitzen mit Blick auf die Torhalle des Klosters Lorsch!
Gefahrene Strecke:
651 Kilometer